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Trauernde in der Gemeinschaft

  • andreahuber3
  • Jun 2, 2024
  • 4 min read


Wir kennen alle den schönen Satz: «Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind gross zu ziehen». Es braucht auch ein ganzes Dorf, um gesund trauern zu können.

Was braucht es, damit «das Dorf» weiss, was zu tun ist?


Heute hat meine 12-jährige Tochter zum 2. Todestag ihres Vaters ein Foto im Klassen-Mädels-Chat geteilt und dazu geschrieben: «Heute sind es zwei Jahre, dass mein Papa gestorben ist». Mit einem Foto, welches ihn zeigt mit unserem Baby in den Armen. Niemand hat reagiert, das machte sie traurig und nachdenklich: «Warum reagiert denn niemand, haben die kein Herz?», fragte sie mich? Ich überlegte einen Moment und antwortete: «Wenn die Erwachsenen nicht wissen, wie reagieren, können es die Kinder von ihnen nicht lernen».


Kinder lernen, «danke» sagen; lernen Tischmanieren; lernen, fair zu sein beim Spielen; lernen, Älteren Menschen die Tür aufzuhalten und hoffentlich vieles mehr. Obwohl der Tod ständig unter uns ist, lernen sie aber den Umgang mit Trauernden nicht.


Nebst dem Empfinden von Mitgefühl braucht es Erfahrungsberichte. Heute schickte mir eine Freundin das Interview mit der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, die den Tod ihres Vaters mit einem Buch verarbeitete, «Trauer ist das Glück, geliebt zu haben». Es hat mich tief berührt. Sie erzählt von ihren Gefühlen, was ihr guttat und wie oft Menschen das Falsche sagen. Aber auch, dass sie mit dem Tod «eine andere» wurde (Republik, 30.9.2021).


Eine Schlussfolgerung ist für mich, dass es viel Sichtbarkeit von Trauerprozessen braucht, damit wir lernen, was Menschen in Trauer brauchen von der Gemeinschaft. Doch weil eine Tabuisierung besteht, wollen wir Trauerenden niemandem «zur Last» fallen und Mitmenschen nicht überfordern. Und so bleiben viele dieser Trauerprozesse, die zum gemeinsamen Lernen im Umgang führen könnten, im Verborgenen. Selber fühle ich mich oft unsicher und suche meinen Weg noch. Ich spüre einen gesellschaftlichen Druck «to just get over with it», wenig Verständnis für die Tragweite des Verlustes auf mein Leben und ich will keine Zumutung sein. Ich vertrage all diese gut gemeinten Kommentare wie «Zeit heilt alle Wunden», «du musst jetzt nach vorne schauen» nicht und überspiele viel, um solchen Sätzen auszuweichen. Auch möchte ich nicht nur über diesen Verlust definiert werden. Es gibt Tage, da ziehe ich eine Maske auf (mit der Idee, «fake it, until you make it», an anderen Tagen zeige ich mich. Bräuchte ich diese Maske vielleicht nicht, wenn der gesellschaftliche Umgang natürlicher wäre?


Darum stelle ich heute Betroffenen die Frage: Was tut euch gut, was tat euch gut? Welches sind Do’s and Dont’s im Umgang mit Trauernden für euch persönlich? Was wünscht ihr euch «vom Dorf»? Vielleicht können wir so eine Sammlung von hilfreichen Tipps im Umgang mit Trauernden und Sichtbarkeit für dieses Thema schaffen.


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Auszüge aus den zahlreichen Kommentaren:


Oh ja, der Umgang mit Gefühlen ist eines der grössten Lernfelder in unserer Kultur. 😳

Es ist soo gut, dass deine Tochter überhaupt gefragt ha!. Und es ist so gut, dass du diese Weise Antwort geben konntest! Du fragst, was die Do‘s and Donts. Das ist sooo unterschiedlich, je nach Situation, dem Gegenüber, der Zeitqualität. Jemand der einfach zuhört, vielleicht auch dem Ungesagten, dass ist wertvoll. „Anteilnahme“ eben … ein schönes Wort! Patricia Hilali


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Dass von der "Welt" keine Resonanz kommt, ist tatsächlich ein Zeichen von einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung in diesem Bereich. Doch ist das natürlich kein Trost für Deine Tochter. Es fehlt an Wissen, an Vorbildern, an Erfahrungen und es herrscht ein grosser Mangel an Gefühls- und Abschiedskompetenz. Für die betroffenen Angehörigen, gerade für Kinder, ist das eine zusätzliche Last, die sie tragen, während sie einen Weg finden müssen, ihr Leben nach dem Verlust neu zu gestalten. Monica Lonoce Lange

Hier ein paar Infos aus meiner Liste um Trauernde zu unterstützen. Im Laufe der Zeit kann man noch viele andere Sachen machen.

WICHTIG:

- Trauer ist individuell & alles ist ok

- Das Nervensystem bestimmt das Verhalten, niemand kann die Trauer einer anderen Person 'verstehen' (auch nicht innerhalb einer Familie)

- Trauer kommt in Wellen & dauert

TO DO: auf Bauchgefühl hören, ehrlich sein, zuhören, Stille aushalten, Mitgefühl ausdrücken, wenn für beide ok: umarmen, praktische Hilfe (kochen, Kind zum Sport bringen etc.)

NOT TO DO: nichts tun, aus dem Weg gehen, vergleichen, bewerten, runterspielen, Floskeln verwenden, auffordern sich bei Bedarf zu melden etc.

Christina Gippert


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Herzlichen Dank, liebe Andrea Huber für deinen offenen Post! Mut haben, die eigene Unsicherheit zugeben, dass man auch nicht weiss, wie man es ansprechen soll. Und wann immer man sich dazu in der Lage fühlt, trotzdem auf den anderen/die andere zugehen. Es gibt wenig richtig/falsch, wenn es von Herzen kommt. Ratschläge und Allgemeinplätze wie die von Dir zitierten finde ich auch vollkommen daneben. Die trauernde Person ganz offen ansprechen "Was tut dir jetzt gut?" - so wie von dir (indirekt) vorgeschlagen, finde ich wunderbar. Julia Kalenberg


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Bei mir half nach einer Traumatisierung Anteilnahme und Verständnis sowie echtes Mitgefühl. Worauf ich nicht gut ansprach, war Mitleid. Das fasste ich als Überforderung des Gegenübers auf und dachte mir dann teilweise, Schweigen wäre doch auch eine Lösung oder einfach sagen: Deine Situation ist hart, ich weiss gerade nicht, wie darauf reagieren... Was half, geht alles in die Richtung "Akzeptanz" und "Unterstützung im Zulassen von Trauer". Was mir auch gar nicht gut tat, war die Devise: Lenk dich doch ab, ob mit Arbeit oder anderem, das fand ich schrecklich bis unmenschlich. Schön war auch, wenn Fragen gestellt wurden... Das hat Interesse und Anteilnahme gezeigt. Ich gehe jedoch davon aus, dass da nicht alle Menschen auf die gleichen Dinge positiv reagieren... Evelyne Bagnoud

 
 
 

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